Die thermisch-stochastische Anregung einer Multi-Cantilever-MEMS-Struktur durch Brownsche Molekularbewegung wird mittels ultrahochauflösender optischer Vibrometrie untersucht. Dieser neuartige Ansatz ermöglicht technisch relevante Anwendungen wie die Kalibrierung von AFM-Spitzen.
Mikro-elektromechanische Sensoren und Aktoren (MEMS) haben sich aufgrund ihrer geringen Größen bei gleichzeitig hoher funktionaler Leistungsfähigkeit als unverzichtbare Bauteile vieler technischer Systeme etabliert, in den Bereichen Smartphone, Automotive und Aerospace ebenso wie in der Medizintechnik, um nur einige zu nennen. MEMS-Entwickler führen zunächst Computersimulationen (FEM) durch, um ein digitales Modell eines neuen Bauteils mit den gewünschten Eigenschaften zu erhalten. Sie optimieren dabei die MEMS-Funktion weiter und minimieren parasitäre oder Offset-Effekte.
Anschließend verifizieren sie diese Optimierungen experimentell und messen die allgemeinen Spezifikationen des MEMS-Bauelements an Prototypenmustern. Insbesondere die Messung strukturdynamischer Eigenschaften eines funktionsfähigen Prototyps ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung eines neuen MEMS-Bauelementes sowie für die Freigabe von Fertigungsvorrichtungen mit entsprechender Kalibrierung und Qualitätskontrolle. Ein besonders interessantes Verfahren ist hierbei die Messung modaler Eigenschaften ohne externen Antrieb, d.h. nach rein thermischer Anregung aufgrund der Brownschen Molekularbewegung, da aufgrund der geringen Energie Nichtlinearitäten vermieden werden.
Im Folgenden beschreiben wir, wie sowohl das thermische Schwingverhalten als auch die Oberflächentopografie einer MEMS-Multi-Cantilever-Struktur mithilfe eines MSA Micro System Analyzers von Polytec charakterisiert wird (Bild 1). Der Micro System Analyzer vereint gleich drei leistungsfähige Messtechniken in einem Instrument: Laser-Doppler-Vibrometrie zur Out-of-Plane-Schwingungsmessung, stroboskopische Videomikroskopie zur In-Plane-Analyse und Weißlicht-Interferometrie zur Messung der Oberflächentopographie (Bild 2).
Messung ambient-thermisch angeregter Schwingungen
Die Schwingungsprüfung wurde in zwei Phasen durchgeführt: Zuerst erfolgte eine Messung mittels aktiver Anregung durch einen auf die MEMS-Halterung geklebten Piezoaktor. Anschließend folgte eine Messung mit rein ambient-thermischer Anregung. Für die aktive Anregung wird der Piezoaktor mithilfe des integrierten Signalgenerators angetrieben, das Generatorsignal dient dabei gleichzeitig als Phasenreferenz. Bei der ambient-thermischen Anregung wird ein zweites faseroptisches Vibrometer in den Strahlengang eingekoppelt und das Schwingverhalten an der Cantileverbasis als Phasenreferenz gemessen.
In Bild 4 ist die Schwingform eines selbsterregten Cantilevers bei 130,9 kHz dargestellt. Die der Umgebung innewohnende Brownsche Molekularbewegung sorgt für die stochastische Anregung kleinster Amplituden der Cantilever, die sich mit sensitiver Messtechnik erfassen lassen.
Messdaten
Die aktive Anregung führt zu einem gemittelten Spektrum über alle Gitterpunkte (Bild 3) und den zugeordneten Betriebsschwingformen (ODS, Operational Deflection Shape). Um die Amplituden und Schwingformen der aktiven und ambienten Anregungen zu vergleichen, wurde einer der markantesten Resonanz-Peaks willkürlich aus dem aktiven Frequenzspektrum ausgewählt. Mithilfe des Referenzsignals kann die phasenrichtige Bewegung der Gitterpunkte animiert werden. Dann wurde der Punkt mit der höchsten Amplitude bestimmt und sein Einpunktspektrum untersucht.
Anschließend wurde die gleiche Analyse bei ambienter Anregung durchgeführt. Für den Vergleich beider Anregungen wurde für jeden der vier Cantilever die Frequenz der zweiten Biegemode mitsamt Schwingform ausgewählt.
Tabelle 1 zeigt den Vergleich zwischen aktiver und ambient-thermischer Anregung. Im Fall der ambienten Anregung waren die Amplituden der untersuchten Resonanzfrequenzen um etwa drei Größenordnungen niedriger. Dennoch war die Signalqualität der Vibrometermessung so gut, dass die Amplituden und Schwingformen (ohne aktive Anregung) effektiv bestimmt werden konnten.
Interpretation und Ausblick
Die berührungslose optische Messung des ambient angeregten Schwingungsverhaltens einer MEMS-Cantilever-Struktur wurde unter In-situ-Umgebungsbedingungen (Raumbedingungen) demonstriert. Die Laser-Doppler-Vibrometrie erlaubt selbst kleinste Schwingungen mikroskopischer Cantilever bei rein thermischer Anregung präzise zu messen. Dieses beeindruckende Ergebnis kann zu vielen interessanten Anwendungen führen, zum Beispiel zu neuen Kalibrierverfahren für AFM-Spitzen.
Entscheidender Vorteil dieses Ansatzes ist die direkte und einfache Messung sowohl der Biege- als auch der Torsionsfederkonstanten. Im Vergleich zu herkömmlichen Kalibrierverfahren für AFM-Federkonstanten, die typischerweise innerhalb des Instruments vorgenommen werden, vermeidet dieser Ansatz die Gefahr einer Beschädigung der Spitze.
Die hohe Empfindlichkeit, Genauigkeit und Berührungslosigkeit der Laser-Doppler-Vibrometrie macht sie zur bevorzugten Methode für die mikroskopbasierte Schwingungsanalyse in Forschung und Entwicklung, aber auch für Produktionsanwendungen wie die Kalibrierung von empfindlichen Strukturen und Bauelemenen mit geringer Masse.
Bildnachweise: Soweit nachfolgend nicht anders aufgeführt bei den Autoren.