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Selektive Polarisationsumwandlung von akustischen Oberflächenwellen

Ein neuer Antriebsmechanismus für die Akustofluidik*

Akustofluidik ist die aktive Beeinflussung von Flüssigkeiten sowie von darin enthaltenen Partikeln oder Zellen im Mikro- und Nanobereich und ist eine Schlüsseltechnologie innerhalb der Biowissenschaften. Akustische Wellen, genauer gesagt, Ultraschallwellen mit hohen Frequenzen weit außerhalb des hörbaren Bereichs, sind für diesen Zweck besonders geeignet, da sie eine präzise steuerbare und berührungslose Manipulation sehr kleiner Objekte ermöglichen. Am SAWLab Saxony des IFW Dresden wurde ein neuartiger Mechanismus für die Mikrofluidik entwickelt, der von hochfrequenten Schallwellen angetrieben wird. Das Verfahren basiert auf der gezielten Änderung der mechanischen Schwingungsebene von akustischen Oberflächenwellen und verbessert den mikrofluidischen Antrieb für Lab-on-a-Chip-Anwendungen erheblich.

Akustische Oberflächenwellenbauelemente wie analoge Hochfrequenz-Bandpassfilter und Resonatoren sind bereits Schlüsselkomponenten für alle mobilen Kommunikationsgeräte, einschließlich drahtloser Netzwerke, Mobiltelefone, Bluetooth und Infrarot-Signalübertragung. Die derzeitigen Aktivitäten am SAWLab Saxony konzentrieren sich auf die zweite und dritte Generation von SAW-Anwendungen mit den beiden Schwerpunkten: i) drahtlose, autarke Sensorik bei hohen Temperaturen (>600°C) und in rauen Umgebungen und ii) SAW-gesteuerte Akustofluidik.

Das hier vorgestellte Thema bezieht sich auf letzteres und resultiert aus einem umfassenden Ansatz, der sowohl elektroakustische Grundlagen, funktionale Dünnschichten als auch die spezifische mikrofluidische Anwendung berücksichtigt.

Polarisationsumwandlung von akustischen Oberflächenwellen
 

Der Einsatz von Ultraschallwellen zur selektiven und nichtinvasiven Beeinflussung von Flüssigkeiten sowie darin befindlicher Partikel und Zellen im Mikrobereich ist Stand der Technik. Die Wechselwirkung hochfrequenter mechanischer Wellen mit der Flüssigkeit führt zu akustisch induzierten Kräften, die zur schnellen Durchmischung von Flüssigkeiten, zum Sortieren und Einfangen von Partikeln/Zellen und zur Aerosolerzeugung genutzt werden können.

Die gebräuchlichste Methode zur Anregung von Ultraschallwellen beruht auf dem umgekehrten piezoelektrischen Effekt, d.h. der Erzeugung mechanischer Dehnungen in einem spezifischem Festkörpermaterial infolge eines angelegten elektrischen Feldes. Bei akustischen Oberflächenwellen (Surface Acoustic Wave, SAW) wird die Spannung an ein Paar kammförmiger, planarer Elektroden (Interdigital Transducer, IDT) angelegt, die auf dem piezoelektrischen Substratmaterial, z. B. Lithiumniobat, angeordnet sind. So breitet sich die akustische Welle entlang der Substratoberfläche aus, wobei die Eindringtiefe in das Substrat auf die Größenordnung der Wellenlänge beschränkt ist. Die mechanische Dehnung (Auslenkungsamplitude) setzt sich aus drei räumlichen Komponenten zusammen, d.h. zwei in der Ebene liegenden Komponenten parallel bzw. senkrecht zur Ausbreitungsrichtung sowie einer Komponente, die senkrecht zur Oberfläche orientiert ist. Außerdem wird die SAW von einem elektrischen Feld begleitet, da die mechanische Belastung aufgrund des piezoelektrischen Effekts ein elektrisches Potenzial erzeugt. Die mechanischen Auslenkungen und das elektrische Potenzial werden zusammen als die Polarisation der SAW bezeichnet.

SAW-basierte mikrofluidische Geräte bestehen meist aus mindestens einem IDT auf einem piezoelektrischen Substrat, der für die Anregung hochfrequenter mechanischer Wellen verwendet wird. Die Flüssigkeit und die darin enthaltenen Partikel/Zellen stehen in direktem Kontakt mit der Substratoberfläche und sind von einem Gefäß umschlossen, das üblicherweise aus einem Polymer besteht. Für die Aktuatorik werden in der Regel vertikal polarisierte SAWs verwendet, da sie eine große Auslenkungsamplitude vertikal zur Oberfläche aufweisen, die hauptsächlich die Impulsübertragung auf die Flüssigkeit bewirkt, was zu einer akustischen Strahlungskraft und zur akustisch induzierten Strömung führt. Die Verwendung von vertikal polarisierten SAW geht mit zwei großen Nachteilen einher: i) die SAW wird während der Transmission unter der Gefäßwand stark abgeschwächt und ii) die Wechselwirkung mit der Flüssigkeit beginnt sofort nachdem die SAW auf das Flüssigkeitsvolumen im Gefäß trifft.

Um diese Nachteile zu überwinden, wurde am SAWLab Saxony des IFW Dresden ein alternativer Ansatz entwickelt und untersucht, der auf der selektiven Umwandlung der SAW-Polarisation beruht. Die Grundidee besteht darin, zunächst eine scher-horizontale SAW anzuregen, die durch eine dominierende Komponente der mechanischen Auslenkung gekennzeichnet ist, die senkrecht zur SAW-Ausbreitungsrichtung gerichtet ist jedoch innerhalb der Oberflächenebene liegt. Anschließend erfolgt eine gezielte Umwandlung der SAW-Polarisation innerhalb des mikrofluidischen Gefäßes, um die Fluidakuatorik zu starten (Abb. 2).

Grundlegendes Prinzip der Polarisationsumwandlung
Abb. 2: Grundlegendes Prinzip der Polarisationsumwandlung von akustischen Oberflächenwellen (SAW).

Die Verwendung horizontal-polarisierter Scher-SAWs verringert die Dämpfung bei der Transmission der Gefäßwand erheblich. Außerdem ist die Wechselwirkung mit der Flüssigkeit im Vergleich zu vertikal polarisierten SAW gering, so dass nahezu kein mechanischer Impuls übertragen wird. Daher muss die Auslenkung außerhalb der Ebene erhöht werden, sobald sich die SAW im Gefäß ausbreitet, d.h. die SAW-Polarisation muss geändert werden.

Ein einfacher Ansatz für die selektive Umwandlung der SAW-Polarisation wurde untersucht. Dazu wird auf der Oberfläche eines piezoelektrischen Substrats ein dünner Metallfilm abgeschieden, der die elektrischen Randbedingungen der SAW-Ausbreitung lokal verändert, d.h. das elektrische Feld an der Substratoberfläche kurzschließt. Für bestimmte Substratmaterialien nimmt die Amplitude der Auslenkung außerhalb der Ebene deutlich zu, wenn die SAW den Übergang von der freien zur metallisierten Oberfläche passiert. Dieser Effekt wurde mit Hilfe von Experimenten und Simulationen eingehend untersucht.

Ein Hochfrequenz-Laser-Doppler-Vibrometer wurde zur hochauflösenden Messung der vertikalen Komponente der mechanischen Auslenkung eingesetzt. Entsprechende Ergebnisse ermöglichen die Validierung numerischer Simulationen und des zugrunde liegenden physikalischen Modells. Die Durchführung von Simulationen ist von besonderer Bedeutung, weil dadurch Einblicke in mikroakustische Grundlagen gewonnen werden können, die durch Experimente nicht zugänglich sind, z. B. die Bestimmung des vollständigen SAW-Polarisationsvektors sowie der Nachweis anderer akustischer Wellenmoden im Substratmaterial.

Die Polarisationsumwandlung von akustischen Oberflächenwellen (SAW)
Abb. 3: Die Polarisationsumwandlung von akustischen Oberflächenwellen (SAW) ermöglicht eine se-lektive Partikellokalisierung: Die Partikel werden ausschließlich im aktiven Bereich (active area) eingefangen (mikroskopische Aufnahme, a) wo die SAW eine höhere Auslenkungs-amplitude senkrecht zur Substratoberfläche aufweisen (gemessen mit Laser-Doppler-Vibrometer, b).

Neue Möglichkeiten für SAW-basierte Mikrofluidik
 

Das neuartige Konzept der SAW-Polarisationsumwandlung bietet zwei wesentliche Vorteile für mikrofluidische Aktuatoren. Neben der verringerten Dämpfung der SAW bei der Transmission der Gefäßwand kann der Bereich der Fluidaktuatorik (active area) durch die laterale Anordnung der metallisierten Substratfläche präzise ausgewählt werden. Dieser Effekt wurde erfolgreich für das Einfangen von in Wasser getauchten Partikeln (10 µm Durchmesser) demonstriert (Abb. 3). Die Partikel sammeln sich innerhalb der aktiven Fläche an, die durch eine größere Auslenkungsamplitude außerhalb der Ebene gekennzeichnet ist, die wiederum durch die gezielte Manipulation der SAW-Polarisation verursacht wird. Daher ist die durch die vertikale Auslenkung induzierte akustische Strahlungskraft in diesem Bereich deutlich höher, was zu einem Einfangen der Partikel führt. Bereiche ohne diese Polarisationsumwandlung weisen deutlich geringere Amplituden auf. Die dadurch induzierten Kräfte in der Flüssigkeit genügen nicht, um die Partikel einzufangen.

Die laterale Position, die Abmessungen sowie die Form der aktiven Fläche können einfach durch die laterale Anordnung der Metalldünnschicht angepasst werden. Damit steht ein neuer Freiheitsgrad für das Design von SAW-getriebenen, mikrofluidischen (Lab-on-a-chip) Aufbauten zur Verfügung, die z.B. für die zielgenaue Separation von Zellen genutzt werden können.

Das grundlegende Konzept der SAW-Polarisationsumwandlung wurde als Patent geschützt (DE 10 2017 118 878).


Referenzen

[1]        A.N. Darinskii et al., Ultrasonics 78 (2017) 10
[2]        A.N. Darinskii et al., J. Appl. Phys. 123 (2018) 014902
[3]        R. Weser et al., Appl. Phys. Lett. 117 (2020) 143502

*          Mit freundlicher Genehmigung des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden e. V.: Der vorliegende Beitrag ist eine autorisierte Übersetzung aus dem Annual Report 2020.

Bildnachweise: Soweit nachfolgend nicht anders aufgeführt bei den Autoren.