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Digitale Bildkorrelation nutzt Fluoreszenz

Mehr Möglichkeiten für Verformungstests in der Materialprüfung

In der Materialforschung gilt die digitale Bildkorrelation (Digital Image Correlation, DIC) als etabliertes Verfahren, um sehr genau und berührungslos Verformungen zu erkennen. Das gilt für Zug-, Druck- und Biegetests ebenso wie für Aufprall-, Ermüdungs- oder Druckwellen-Analysen sowie ganz allgemein zur Erkennung von Defekten auch unter der Probenoberfläche. Mittlerweile gibt es Systeme, die statt des üblicherweise auf einer Grundierung aufgebrachten Punktemusters (Speckle-Muster) mit Fluoreszenz arbeiten. Dadurch erschließen sich für die Material- und Bauteilprüfung neue Möglichkeiten, denn Abschattungen und Reflexionen können die Messung nicht beeinträchtigen. Auch stark reflektierende Materialien oder solche, die sich nicht grundieren lassen, können getestet werden und selbst komplexe Geometrien oder biologische Proben lassen sich untersuchen.

DIC-Systeme bieten gegenüber Dehnungsmessstreifen oder Kraftsensoren viele Vorteile, da sie berührungslos arbeiten und sich sehr flexibel nutzen lassen. Sie können Dehnungen über einen weiten Bereich von Microstrain bis mehreren 100% messen und auch kleine Proben, im Mikrometerbereich, sind mit Mikroskop-Optiken charakterisierbar. Mit Highspeed-Kameras lassen sich höchste Messraten realisieren, zum Beispiel bei Crashtests in der Automobilindustrie. Die prinzipielle Funktionsweise der DIC-Systeme ist einfach zu verstehen; Basis ist die Auswertung von Bilderserien, um die Verformungen sichtbar zu machen.

In der Regel wird das Testobjekt weiß grundiert und mit einem dunklen Speckle-Muster versehen, das aus vielen, zufällig verteilten Punkten besteht (Bild 1). Während der Verformung werden dann Bilder des Bauteils mit Industriekameras aufgezeichnet. Für 2D-Messungen genügt eine Kamera, sollen Verformungen dreidimensional erfasst werden, sind zwei Kameras erforderlich. Die Algorithmen zur Bildkorrelation errechnen, wie sich das Punktemuster in den aufgezeichneten Bilderserien verschiebt. Aus den gemessenen Pixelkoordinaten des Musters lassen sich dann die bei der Verformung entstandenen Veränderungen der Probe oder des Bauteils mit großer Genauigkeit bestimmen.

Grenzen überwinden mit „photogenic patterning“
Dieses Vorgehen bei der digitalen Bildkorrelation hat sich über Jahrzehnte in zahllosen Anwendungen bewährt. Das „normale“ Speckle-Muster lässt sich aber leider nicht immer nutzen; es gibt Anwendungen, bei denen es aufgrund der Probenbeschaffenheit nicht funktioniert. So stößt es beispielsweise bei Abschattungen am Objekt an Grenzen. Wo wegen Einkerbungen oder anderer komplexer Geometrien wenig oder gar kein Licht hinkommt, sind auf den Kamerabildern auch keine aussagekräftigen Veränderungen des Speckle-Musters sichtbar. Textilien sind hierfür ein typisches Beispiel. Auch stark reflektierende oder nasse Oberflächen können zur Herausforderung werden.

Hier hilft zwar polarisiertes Licht prinzipiell weiter, das Einstellen der Filter ist allerdings oft recht aufwendig. Auch lässt sich nicht auf allen Untergründen eine Grundierung aufbringen, weil sie zum Beispiel die Materialeigenschaften beeinflusst oder während der Verformung reißen kann. 
In solchen Fällen gibt es jetzt ein alternatives Vorgehen: Das von LaVision entwickelte „photogenic patterning“, das Polytec im Programm hat, kennt diese Schwierigkeiten nicht, obwohl es ebenfalls die bewährte Speckle-Mustertechnik nutzt. Auf der Oberfläche des Messobjekts wird allerdings ein Speckle-Muster mit fluoreszierender Farbe aufgebracht, das seine eigene Lichtemission erzeugt und deshalb als „photogenic“ bezeichnet wird (Bild 2). 
 

Auf der Oberfläche des Messobjekts wird ein Speckle-Muster mit fluoreszierender Farbe aufgebracht. (Urheber: LaVision)
Bild 2: Auf der Oberfläche des Messobjekts wird ein Speckle-Muster mit fluoreszierender Farbe aufgebracht. (Urheber: LaVision)

Fluoreszenz ist die Emission von Licht durch einen Stoff, der Licht oder andere elektromagnetische Strahlung absorbiert. In den meisten Fällen hat das emittierte Licht eine längere Wellenlänge als das zur Anregung eingesetzte. So ist es möglich, das Fluoreszenzmuster zu isolieren und mit darauf abgestimmten Algorithmen zur digitalen Bildkorrelation auszuwerten. Eine Grundierung ist dazu nicht erforderlich und Abschattungen durch die Beschaffenheit der Probenoberfläche oder Geometrie sind nicht mehr kritisch. Damit lässt sich auch das Verformungsverhalten von Materialien erforschen, bei denen die digitale Bildkorrelation bisher an Grenzen stieß.

Vielseitig nutzbar und biokompatibel
Fluoreszierende Farben sowie das passende Zubehör zum Aufbringen gibt es in zahlreichen Varianten, so dass sich für praktisch jede Oberfläche eine adäquate Lösung finden lässt. LaVision hat auf diesem Gebiet umfangreiche Erfahrungen, da Fluoreszenz bei vielen Messverfahren der Göttinger eine Rolle spielt. Die Farben eignen sich für unterschiedliche Untergründe und lassen sich nach dem Test einfach abwischen. Biokompatible Farben eignen sich zum Beispiel für den Einsatz direkt auf organischen Proben, sogar feuchte Stimmbänder lassen sich auf diese Weise vermessen (Bild 3). Kombiniert mit einer Strömungsmessung werden so die Bewegungen genau nachvollziehbar. Selbst saugfähige Oberflächen eignen sich für „photogenic patterning“; hierfür gibt es entsprechende Kreiden.
 

Polytec bietet gleich zwei DIC-Systeme an, die zur zwei- oder dreidimensionalen Form-, Beanspruchungs-, und Deformationsanalyse jetzt auch die fluoreszierenden Speckle-Muster nutzen können: Das StrainMaster Portable-System (Bild 4) ist modular aufgebaut. Es besteht aus Controller, Software, ein oder zwei Kameras, Beleuchtung sowie Mechanik und ist auch nachträglich erweiterbar. Alle Prozessschritte der Messung von der Hardwaresteuerung über die Datenverarbeitung, Validierung, Darstellung und den Datenexport sind im System integriert. Die Software steuert alle Prozessschritte von der Aufnahme bis zum Datenexport. Die erfassten Rohdaten bleiben dabei erhalten und erlauben jederzeit eine erneute Nachbearbeitung. Wichtige Parameter wie Auflösung, Field-of-View, Dehnungsbereich und Arbeitsabstand hängen von den verwendeten Beleuchtungen, Kameras und Optiken ab und lassen sich variabel an unterschiedliche Applikationen anpassen.

Beim digitalen Bildkorrelationssystem StrainMaster Compact (Bild 5) besteht der in einem kompakten Gehäuse untergebrachte Messkopf aus zwei fest integrierten USB3 Kameras und einer hellen LED-Lichtquelle. Der Vorteil des Systems liegt in seinem integrierten Aufbau, der einfachen und schnell überschaubaren Bedienbarkeit sowie im einsteigerfreundlichen Preis.  Dabei sind Messraten bis 150 Hz möglich. Vier Gerätevarianten mit unterschiedlichen Auflösungen und Sichtfeldern erlauben vorab eine Optimierung bezüglich der Anwendung. Ein Komplettsystem besteht aus Messkopf, Controller mit Display, Maus und Keyboard sowie der StrainMaster Compact-Software. Damit erschließen sich der digitalen Bildkorrelation neue Möglichkeiten, von denen die Materialprüfung in den verschiedensten Bereichen profitieren wird.

Bildnachweise: Soweit nachfolgend nicht anders aufgeführt bei Polytec. Titelbild: LaVision