
Abstract
Zuführtechnik ist eine Schlüsseltechnologie in der automatisierten Produktion. Um Zuführanlagen mit Hilfe von Simulation zu entwickeln, muss die Maschinenphysik bekannt sein. Als Spezialist für Zuführtechnik entschlüsselt die RNA-Gruppe mit Hilfe der Messtechnik von Polytec alle relevanten physikalischen Phänomene und bringt diese über analytische Modelle in die digitale Welt.

Motivation
Zuführtechnik ist aus der automatisierten Produktion nicht mehr wegzudenken. Zuführanlagen haben die Aufgabe, im Haufwerk angeliefertes Schüttgut (z. B. Deckel, Schrauben, Lego-Steine, Munition, Tabletten) zu sortieren und in einem bestimmten Takt der Hauptproduktionsanlage zuzuführen.
Dabei sind Zuführanlagen eine neuralgische Schnittstelle. Wenn die Zuführtechnik aufgrund einer Fehlfunktion auf Störung geht, steht die gesamte Produktionsanlage. Keine Teileversorgung heißt Produktionsstillstand. Und Produktionsstillstand verursacht unnötige Kosten. Deshalb ist es wichtig, dass Zuführanlagen eine entsprechend hohe technische Verfügbarkeit haben und ihre gewünschten Leistungsmerkmale stets erfüllen.
Zuführanlagen funktionieren nach dem Vibrationsförderprinzip. Eine Antriebseinheit schwingt mit 100 Hz in einer bestimmten Betriebsmode und dadurch setzt bei den Bauteilen ein Förderprozess ein. Dieser Förderprozess ist das Ergebnis aus sich ständig wiederholenden Mikrostößen zwischen Bauteil und Zuführanlage. Jedes Zuführsystem ist ein Unikat, genau passend für ein Bauteil. Bei der Entwicklung einer Zuführanlage besteht die Kunst darin, den Vibrationsantrieb so zu manipulieren, dass die resultierende Betriebsmode einen stabilen Förderprozess bewirkt. Traditionell werden Zuführanlagen erst gebaut und anschließend wird am Shop Floor per Trial & Error der Vibrationsantrieb so lange verändert, bis eine zufriedenstellende Lösung gefunden wurde. Als weltweiter Technologie- & Marktführer hat die RNA-Gruppe einen neuen Ansatz entwickelt: vollständige digitale Auslegung der Zuführanlage per Simulation – bevor die Anlage gebaut wird. Um jedoch ein Simulationsmodell zu entwickeln, muss die Maschinenphysik bekannt sein.

Applikation bei Polytec
Gemeinsam mit Polytec entschlüsseln wir nun seit 2017 diverse Antriebsarchitekturen aus dem RNA-Portfolio und bringen diese so in die digitale Welt. Ein Messtag bei Polytec hat mittlerweile einen bekannten, klaren Ablauf. Im Vorfeld werden zunächst die Messpunkte anhand eines CAD-Modells festgelegt, die Applikationsingenieure teachen diese offline ein und legen ein entsprechendes Koordinatensystem fest. Auch ist in der Regel die Zuführanlage bereits vorab bei Polytec eingetroffen und im Messraum vorbereitet.

Da die Betriebsmoden 3-dimensionale, räumliche Eigenschaften aufweisen, kommt das scannende 3D-Laser-Doppler-Vibrometer für die vollflächige Schwingungsanalyse zum Einsatz, das zudem mit einem Industrieroboter gekoppelt ist (RoboVib®), um schnell und flexibel unterschiedliche Messpositionen anfahren zu können.
Die Messungen finden im Zeitbereich statt und alle Messpunkte werden über ein weiteres 1D-Laser-Doppler-Vibrometer, welches als Trigger fungiert, synchronisiert. Um das physikalische Verhalten des Antriebs zu entschlüsseln, wird über eine Messreihe hinweg der Antrieb strukturmechanisch sukzessive verändert. Dabei werden Federelemente ein- oder ausgebaut, Anstellwinkel verändert sowie die Masseneigenschaften bestimmter Elemente manipuliert. Die Anregung der Zuführanlage findet mittels integrierter Elektromagnete und über ein Steuergerät statt. Angeregt wird stets im Resonanzbereich der betriebsrelevanten Mode. Die mit dem 3D-Laser-Doppler-Vibrometer gemessene Strukturantwort dient dann als Grundlage für die anschließende Analyse.

Für die Analyse der Messungen wird Polytec’s Auswertesoftware benutzt. Vibrationsantriebe für die Zuführtechnik sollen im Normalfall klassische Massen-Feder-Dämpfer-Elemente darstellen, wobei die Massen im Anregungsbereich von 100 Hz Starrkörpereigenschaft aufweisen sollen. Mit der präzisen Messung durch das 3D-Laser-Doppler-Vibrometer können wir sofort sehen, ob sich die schwingenden Massen am Antrieb als Starrkörper verhalten, oder ob die Starrkörper-Betriebsmode durch störende Deformationen überlagert ist. In solchen Fällen können wir die Antriebe an den Deformationsstellen entsprechend optimieren, um dann dauerhaft stabile Förderprozesse sicherzustellen. Dank Polytec’s Messtechnik konnte dieser Optimierungsschritt bereits mehrfach erfolgreich umgesetzt werden.

Digitale Zuführtechnik
Die Erkenntnisse aus den Messungen werden schließlich genutzt, um ein Simulationsmodell für jeden Vibrationsantrieb zu erstellen. Hierbei handelt es sich um ein analytisches Modell, bei dem beispielsweise über die Messungen die Freiheitsgrade und kinematischen Zwangsbedingungen abgeleitet werden. Die Erstellung des Modells sowie die Parametrierung stellen einen Einmalaufwand dar. Sobald eine Antriebseinheit vollständig physikalisch entschlüsselt und modelliert ist, wird sie in der RNA Simulationssoftware Digital Motion hinterlegt und kann für alle künftigen Projekte herangezogen werden. Digital Motion ist Cloud-native und über www.designforfeeding.com sowohl für RNA als auch für alle externen Kunden verfügbar.
Mit Hilfe von Digital Motion lassen sich die Antriebe für neuentwickelte Zuführanlagen innerhalb weniger Sekunden strukturmechanisch optimieren. Das Knowhow der Antriebsabstimmung ist in der Software gespeichert und beschleunigt die Entwicklung von Zuführanlagen enorm. Bestmöglich abgestimmte Zuführtechnik führt schließlich zu stabilen Förderprozessen mit hoher technischer Verlässlichkeit.
Fazit
Die Messtechnik von Polytec ist ein zentrales Element in der Entschlüsselung der komplexen Maschinenphysik von Zuführanlagen. Dank dieser Technologie können wir Vibrationsantriebe vollumfänglich verstehen und simulieren. Davon profitieren sowohl die RNA-Gruppe als auch alle unsere Kunden – durch schnellere Anlagenentwicklung und bessere Performance über die gesamte Betriebszeit.