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Laser-Schwingungsmessung unterstützt Arthrose-Therapie

Berührungslose Alternative zu dynamischen und viskoelastischen mechanischen Tests am Knorpel

human knee

Von Osteoarthritis, einer degenerativen Gelenkerkrankung, sind etwa 14 % der Erwachsenen betroffen. Das Verständnis der Dynamik des Gelenkknorpels ist für die Forschung und für die Suche nach wirksamen Behandlungsmethoden von entscheidender Bedeutung. Die Laser-Doppler-Vibrometrie hat sich in den letzten Jahren in vielen biologischen Wissenschaftsbereichen durchgesetzt, zum Beispiel in der Hörforschung oder bei der Untersuchung der Schwingungsausbreitung auf Haut in der Haptikforschung.

Als Dr. Gabriela Espinosa während ihrer Zeit an der UCI Samueli School of Engineering der UC Irvine von der Vibrometrie hörte, wurde sie inspiriert, diese Messtechnik auch für die dynamische Charakterisierung von Knorpelgewebe des menschlichen Knies zu evaluieren.

Mit der Unterstützung des renommierten Professors Dr. Kyriacos Athanasiou und in Zusammenarbeit mit dem Messtechnik-Anbieter Polytec gelang es Dr. Espinosa, eine Technik zur Charakterisierung der mechanischen Eigenschaften von Knorpel zu entwickeln. In ihrer jüngsten Veröffentlichung zeigt sie die Übereinstimmungen mit herkömmlichen Methoden und hebt die Vorteile der Laservibrometrie hervor. Aufgrund ihres berührungslosen Ansatzes ist die Vibrometrie im Gegensatz zu konventionellen Verfahren zerstörungsfrei und trägt daher dazu bei, Abfall und somit auch die Kosten zu reduzieren.

Außerdem führte der von Dr. Espinosa entwickelte Vibrometer-Ansatz zu einer erheblichen Verkürzung der Prüfzeiten, was zudem künftige Forschungsarbeiten beschleunigt. Die US-amerikanische Wissenschaftlerin plant zukünftig die neue Messmethode auch zum Vergleich von künstlich hergestelltem und natürlichem Knorpelgewebe einzusetzen und ihre Aussagekraft dort zu bewerten.

In ihrem Artikel zeigt Dr. Espinosa, wie der dynamische Modul G* aus den gemessenen Resonanzfrequenzen einer scheibenförmigen Probe extrahiert werden kann, und zwar ausschließlich durch Betrachten der 1. und 2. Schwingungsmode. Mit Hilfe von Phasen-/Zeitverzögerungsmessungen lassen sich die viskoelastischen Eigenschaften (Verlustmodul G" und Speichermodul G') extrahieren. Somit wird mit der Vibrometrie als einziges Werkzeug die Einhaltung zahlreicher gesetzlicher Vorschriften für die mechanische Charakterisierung von Knorpelgewebe, z.B. bei Transplantationen, ermöglicht.

Knorpel ist ein sehr dynamisch beanspruchtes Gewebe. Typische Aktivitäten wie z. B. Gehen können große Spannungen zwischen 1 und 6 MPa erzeugen mit Spitzenwerten von bis zu 12 MPa. Solche Belastungen fallen zyklisch an mit Frequenzen von 0,01 bis 2 Hz, was typischerweise zu bis zu 4 Millionen Belastungszyklen pro Jahr ausmachen kann. Verschiedene Faktoren wie die mechanische Ermüdung durch zyklische Belastung, eine übermäßige Belastungen oder hohe Belastungsgeschwindigkeiten werden häufig mit dem Auftreten von Arthrose, einer Erkrankung, von der etwa 14 % der Erwachsenen betroffen sind, in Verbindung gebracht.

In Anbetracht der Bedeutung für die täglichen Bewegungsabläufe und seiner Rolle bei der Aufrechterhaltung der Gewebehomöostase sind die dynamischen mechanischen Eigenschaften des Knorpels im Fokus der aktuellen Forschung. Ziele sind ein besseres Verständnis über die Funktion des Knorpels in einer dynamischen Umgebung, dessen Regeneration und Ersatz.

Quasistatische mechanische Messungen unter viskoelastischen Prüfbedingungen, wie Spannungsrelaxation
und Eindrück-Kriechuntersuchungen, werden routinemäßig zur Bewertung von Knorpel und Knorpelersatz eingesetzt. Dynamisch-mechanische Prüfungen werden häufig durchgeführt, um einen dynamischen Modul und gelegentlich auch viskoelastische Eigenschaften zu bestimmen.

Die meisten dieser mechanischen Prüfverfahren sind jedoch zerstörend, was entweder bestimmte Untersuchungen einschränkt oder große Mengen an Testgewebe erfordert. Daher würde ein berührungsloses dynamisch-mechanisches Prüfverfahren für die Knorpelforschung einen deutlichen Mehrwert bieten. Ein großer Vorteil der Laser-Doppler-Vibrometrie, wie in der vorliegenden Arbeit aufgezeigt, ist das berührungslose und rückwirkungsfreie Funktionsprinzip. Angesichts dieser Schlüsseleigenschaft hat die Laservibrometrie großes Potential für die Biowissenschaften.

Ziel von Dr. Espinosa‘s Forschungsarbeit ist die Charakterisierung von  Gelenkknorpel mittels Laservibrometrie als berührungslose dynamisch-mechanische Testmethode und ein Vergleich der Ergebnisse mit quasistatischen mechanischen und biochemischen Tests. Zu diesem Zweck wurden Knorpel-Explantate aus dem Kondylus, der Patella, der Trochlea sowie dem Meniskus mit traditionellen Methoden und der Vibrometrie charakterisiert und die Ergebnisse verglichen.

Für die Laservibrometer-Messungen wurde ein PSV-500-B Xtra Scanning Vibrometer eingesetzt. Die Explantate der  Knorpelgewebe wurden zur dynamischen Anregung auf einen Piezoaktor gesetzt. Der Funktionsgenerator des PSV-500-B Xtra Scanning Vibrometers steuert den Piezo mit den für die jeweiligen Experimente relevanten Signalen an. Die dynamische Anregung des Gewebes führt zu einer dynamischen Verformung der Gewebeprobe. Dabei misst das Vibrometer die axiale Verschiebung der Oberseite des Gewebes.

Zur Festlegung der Messpunkte dient ein definiertes Raster aus 100 - 150 Punkten, welches die Gewebeprobe und den Piezo abdeckt. Dabei ist wichtig, dass sowohl Probe als auch Piezo gemessen wurden.

Eine erste Messung ermittelt die erste und zweite Resonanzfrequenz, indem sie die Spitzenwerte in den Geschwindigkeitsdaten der Probe über einen Frequenzbereich von 10 bis 100.000 Hz identifiziert. In dieser Analyse dienen die Daten des Piezos nur der Bestätigung, dass die Resonanzfrequenzen des Piezos nicht mit denen der Probe interferieren.

Um sicherzugehen, dass wirklich Biegemoden vorliegen und damit die Resonanzen der Starrkörper-Moden auszuschließen, wurden die Schwingformen der identifizierten Resonanzfrequenzen geprüft.

 

Der Videoclip zeigt Animationen der gemessenen ersten und zweiten Schwingungsmode einer Gewebeprobe, wie in der PSV-Software dargestellt.

Die Bestimmung des dynamischen Modul G* jeder Probe erfolgte gemäß der Richtlinien der American Society for Testing and Materials International (ASTM International) zur Berechnung der dynamischen mechanischen Eigenschaften von scheibenförmigen Proben durch Schwingungsanregung. Für jede der zwei Resonanzfrequenzen wurde ein dynamisches Modul berechnet. Die dynamischen Moduli für beide Frequenzen wurden dann gemittelt, um einen einzigen G*-Wert pro Probe zu erhalten.

Es folgte eine 500-Hz-Sinusanregung zur Bestimmung der viskoelastischen Eigenschaften des Gewebes. Ein sinusförmiges Referenzsignal (schwarz) steuert die zeitlich  leicht verschobene Piezoreaktion (blau). Die Verschiebung ist die Differenz zwischen der schwarzen und der blauen senkrechten gepunkteten Linie. Die periodische Verformung des Gewebes ist in Rot dargestellt, wobei die Phasenverschiebung gegenüber dem Piezosignal durch δ gegeben ist.

In der PSV-Software wurden die Daten durch Inverse Fourier-Transformation vom Frequenzbereich in den Zeitbereich transformiert. Dieser Ansatz erfordert Schwingungsdaten sowohl vom Piezo als auch von der Probe, um die Phasenverschiebung δ zwischen der Reaktion des Piezos und des Gewebes auf das Referenzsignal zu messen. Der Tangens der Phasenverschiebung ist das Verhältnis zwischen dem viskosen und dem elastischen Beitrag, auch bekannt als Verlust- bzw. Speichermodul. Mit Hilfe von G* und δ wurden der Speichermodul G' und der Verlustmodul G'' wie folgt bestimmt:

G' = G* cos δ
G'' = G* cos δ,

Die dank der Laservibrometrie als berührungsfreie Messmethode noch vollständig intakten Gewebeproben konnten anschließend für herkömmliche, zerstörende, mechanische Prüfungen weiterverwendet  werden, um die Ergebnisse mit denen der Vibrometermessungen zu vergleichen. Durchgeführt wurden eine Messung zur Spannungsrelaxation, eine Eindrück-Kriechuntersuchung und eine biochemische Untersuchung.

Die Tabelle fasst die Stärke und Signifikanz der Spearman-ρ-Korrelationen des dynamischen Moduls G*, des Speichermoduls G' und des Verlustmoduls G'' zusammen, die mit zerstörungsfreien vibrometrischen Messungen und traditionellen zerstörenden Tests in der Knorpelforschung ermittelt wurden.

Die Zahlen geben die Stärke der Korrelation (ρ) an, und die Farbe zeigt den Grad der Signifikanz. Weiße Kästchen mit diagonalen Linien zeigen an, dass keine statistische Signifikanz erreicht wurde.

Diese Studie zeigt den erfolgreichen Einsatz der Vibrometrie zur berührungslosen Bestimmung der dynamisch-mechanischen Eigenschaften des Knorpels. Die hier ermittelten dynamischen Eigenschaften zeigten mehrere signifikante Korrelationen mit quasi-statischen und biochemischen Eigenschaften und lieferten damit wichtige Erkenntnisse über die Knorpelfunktion unter zyklischer Belastung. Die vibrometergestützten Messungen erwiesen sich sogar als ausreichend präzise, um Unterschiede in den viskoelastischen Eigenschaften zwischen unterschiedlichen Knorpelbereichen des Knies festzustellen.

Diese Arbeit festigt nicht nur die Erkenntnisse zu den Beziehungen zwischen quasi-statischen, viskoelastischen und dynamischen Eigenschaften über eine kurze Testzeit, sondern stellt auch eine praktische Option für zerstörungsfreie Tests mit hohem Durchsatz dar, welche die Erforschung von Knorpelwachstum, Gewebezüchtung und die translationale Medizin signifikant erleichtern können.

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