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Fühlen, was nicht da ist

Laservibrometrie für realistisches haptisches Feedback

Haptik sichtbar machen dank berührungsloser Schwingungsmessung

Das Smartphone hat es vorgemacht, dass Tasten ohne Komforteinbußen ersetzt werden können. Ganz im Gegenteil: Das frei konfigurierbare Display mit Gestensteuerung hat die Bedienung vereinfacht. Hap2U treibt diese Revolution weiter voran. Seine neue Technologie verleiht Touchscreens ein haptisches Feedback mit bisher unerreichter Wiedergabevielfalt, die das Nutzererlebnis von Consumer-Elektronik bereichert. Haptisches Feedback erhöht zudem die Fahrzeugsicherheit, da es eine Touch-Bedienung ermöglicht, die den Fahrer nicht ablenkt. Laservibrometer von Polytec spielen eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von High-End Haptik Technologien.

Im Interview legt Matthieu Rupin, Teamleiter Akustik beim französischen Innovationstreiber für haptisches Feedback Hap2U, seine Sicht auf die Zukunft der Interaktion zwischen Fahrer und Fahrzeug dar. Er macht deutlich, dass mit geeigneter Technologie Schwingungen eingesetzt werden können, um virtuelle Texturen auf Oberflächen zu erzeugen, die sich sogar der Geschwindigkeit eines Fingers anpassen, der über sie gleitet. Und das funktioniert völlig geräuschlos und nicht nur auf Displays.

Der Kern der Technologie sind Ultraschallfelder, die den Reibwert zwischen Finger und Oberfläche gezielt und lokal beeinflussen. Der Mensch fühlt vertraute Oberflächen und findet sich sofort zurecht.

Unverzichtbar für die Dimensionierung der Ultraschallwandler und der Kalibrierung der Modelle ist die Kartierung der Ausbreitungsparameter im Material.

Dazu setzt Hap2U durchgängig die 3D-Scanning Vibrometer von Polytec ein: von der Grundlagenentwicklung bis hin zur Industrialisierungsphase eines Produkts mit Ermüdungs- und Lebensdauerprüfungen.

Haptic displays in cars

Welche Anwendungsbereiche sehen Sie für Ihre Haptik-Technologie?

Eine haptische Rückmeldung, also die Erzeugung eines mechanischen Reizes unter der Fingerkuppe eines Benutzers bei der Interaktion mit einer taktilen Schnittstelle, ist überall dort sinnvoll, wo eine Interaktion mit einer Maschine stattfindet. Mit dem Siegeszug des Smartphones werden Schnittstellen mit Tasten allmählich durch Displays verdrängt. Diese Entwicklung hat durchaus seine Berechtigung: Mensch-Maschine-Schnittstellen basierend auf berührungssensitiven Displays lassen sich durch Programmierung sehr einfach differenzieren. Außerdem ermöglichen sie robustere Produkte durch den Wegfall mechanischer Bauteile mit beweglichen Teilen wie Drehregler, Schieberegler usw.

Dieser große Trend hat jedoch dazu geführt, dass das Gefühl der Berührung all dieser Schnittstellen verloren gegangen ist. Bisherige mechanische Tasten konnte man greifen, eine sensorische Rückmeldung war also natürlich gegeben. Die Erzeugung einer programmierbaren haptischen Rückmeldung ist daher bei einer Reihe verschiedener Anwendungen sinnvoll. Im Automobilbereich gewinnen Schnittstellen mit Displays aus Design- und Innovationsgründen im Fahrgastraum immer mehr an Bedeutung. Dieser Trend kollidiert jedoch mit den Sicherheitsanforderungen, die vom Fahrer verlangen, sich ganz auf die Straße zu konzentrieren und sich nicht durch eine Schnittstelle ablenken zu lassen, die Blickkontakt erfordert.

Haptische Displays tragen dieser Problematik Rechnung, indem sie über den Tastsinn wieder eine Kommunikation zwischen dem Fahrzeug und dem Benutzer herstellen. Die Interaktion findet statt, ohne den Blick von der Straße nehmen zu müssen. Bei Produkten für den Haushalt wie zum Beispiel Elektrogeräten bietet die Rückmeldung durch den Tastsinn wieder eine Ergonomie, wie wir sie von mechanischen Tasten kennen. Beim Smartphone geht es um eine völlig neue Art, das ganze Spektrum der Funktionen zu erleben. Stellen Sie sich vor, beim Surfen auf Websites, bei Spielen und in sozialen Netzwerken würden uns Texturen begegnen. Sogar Tastensteuerungen bei ausgeschaltetem Display werden möglich.

Was unterscheidet Hap2U von bereits existierenden technischen Lösungen oder von der Konkurrenz?

Die Technologie von Hap2U verkörpert die Zukunft von haptischem Feedback. Wir wissen alle, wie es sich anfühlt, wenn unser Telefon vibriert. Diese Art der haptischen Rückmeldung bei passiver Berührung so genannt, weil der Benutzer nicht aktiv mit der Schnittstelle interagieren muss weist zwei grundsätzliche Einschränkungen auf: Sie ist mit Geräuschen verbunden und sie ist global in dem Sinne, dass die gesamte Schnittstelle in Schwingungen versetzt wird.

Die Hap2U-Technologie überwindet diese Nachteile, die haptischen Rückmeldung ist viel feiner, nuancierter und kann gezielt lokal unter dem Finger des Benutzers erfolgen. Insbesondere ist es möglich, künstliche Texturen zu schaffen, die von der Position und Geschwindigkeit des Fingers abhängen.

Alle Arten von Tasten oder Schiebereglern wird man so auch in einer vollständig digitalen Umgebung wieder greifen können. Diese Technologie kombiniert die Flexibilität, die die Digitalisierung von Schnittstellen bietet, mit einer wiedergewonnenen Sensorialität, die die Mensch-Maschine-Interaktion sowohl intuitiver als auch sicherer macht.

Die Geräuschlosigkeit dieser Technologie ist ein weiterer wichtiger Vorteil, der eine Konzentration auf das taktile Erlebnis ermöglicht, aber auch die Vertraulichkeit, der in taktiler Form übermittelten Informationen garantiert. Und dabei geht es nicht nur um Displays.

Die Hap2U-Technologie funktioniert auch auf taktilen Oberflächen aus Kunststoff, Holz, Glas oder Metall. Und wir haben vor kurzem virtuelle Volumenobjekte durch haptische Rückmeldung entwickelt, die man leicht lokalisieren und handhaben kann. Diese sollen die realen mechanischen Tasten ersetzen, die man greifen kann, die aber Verschleiß unterliegen.

1: Deckglas mit piezoelektrischen Aktoren. Auf dem 1 mm dicken Deckglas wird durch die piezoelektrischen Aktoren am Rand ein Ultraschallfeld erzeugt. Die Amplitude der Schwingungen ist kleiner als 2 μm.

2: Berührungssensitive Oberfläche, diese lokalisiert die Position des Fingers auf dem Bildschirm. Durch kontinuierliche Erfassung der Position wird Geschwindigkeit und Richtung des Fingers berechnet.

3: Display (LCD oder OLED). Wie bei gewöhnlichen Smartphones oder Tablets wird die Anzeige des Displays in Abhängigkeit von der Fingerbewegung in Echtzeit aktualisiert.

4: hDriverTM. Das Elektronikboard steuert die piezoelektrischen Aktoren und somit das Ultraschallfeld als Reaktion der Fingerbewegung auf dem Deckglas.

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Was ist das Funktionsprinzip und wie wird das Gefühl einer Berührung überhaupt erzeugt?

Die Hap2U-Technologie basiert auf der Erzeugung eines Ultraschallfeldes auf der Fläche, die mit dem Finger in Berührung kommt. Die Ultraschallwellen werden mithilfe von piezoelektrischen Wandlern erzeugt, die mehrere Tausend Mal in der Sekunde schwingen. Das Ultraschallfeld erzeugt Druck in dem kleinen Luftvolumen, das zwischen Finger und berührter Oberfläche eingeschlossen ist. Dadurch entsteht eine akustische Levitationskraft, die dem Druck des Fingers auf die Oberfläche entgegenwirkt. Die Kontaktfläche wird kleiner, wodurch sich auch der Reibungskoeffizient verringert. Die Ultraschallschwingungen dienen also dazu, den Reibungskoeffizienten aktiv zu beeinflussen. Durch die Steuerung dieser Schwingungen in Echtzeit können wir die Variation der Reibung nachahmen, die beim Ertasten einer realen Oberfläche auftritt.

Welche Entwicklungsschritte sind hierbei nötig und wo kommt die 3D-Laser-Schwingungsmessung ins Spiel?

Eine entscheidende Etappe vor der Industrialisierung der Technologie besteht darin, sicherzustellen, dass das Produkt des Kunden mit unseren Rahmenbedingungen kompatibel ist. Wir bauen dann einen Demonstrator für den Kunden auf Basis seines vorhandenen oder zukünftigen Produkts und integrieren darin unsere „haptische Schicht“. Wichtig in dieser Phase ist die Charakterisierung des Kundenmusters, woraus wir die Ausbreitungsparameter der Schwingungen über einen weiten Frequenzbereich ableiten.

Die Kartierungen, die mit dem Scanning Vibrometer von Polytec in extrem kurzer Zeit erstellt werden, bilden die Grundlage für die Dimensionierung der endgültigen haptischen Schnittstelle. Die gemessenen 3D-Schwingungsdaten ermöglichen dann die Verifikation unserer Simulation sowie gegebenenfalls eine Anpassung und Optimierung.

Test setup with PSV-3D Scanning Vibrometer
Messaufbau im Labor, 3 Laser scannen die gesamte Objektoberfläche ab

Nach dem Proof of Concept folgt die Phase der Industrialisierung. In dieser Phase liegt der Schwerpunkt darauf, unsere Technologie mit den spezifischen Anforderungen des Marktes in Einklang zu bringen. Auch hier leistet das 3D-Scanning Vibrometer einen wichtigen Beitrag: In Ermüdungs- und Lebensdauerprüfungen beobach­ten wir die möglichen Veränderungen des Musters, um sicherzustellen, dass die Leistungsfähigkeit über den gesamten Produktlebenszyklus erhalten bleibt. Die Schnelligkeit der Messung ermöglicht es, eine große Anzahl von Mustern sozusagen „wie am Fließband“ zu charakterisieren.

Nicht zuletzt sind wir auch sehr aktiv im Bereich der Forschung und Entwicklung, um unseren technologischen Vorsprung abzusichern.

 

Dabei stellt das 3D-Scanning Vibrometer ein unverzichtbares Werkzeug dar, um den Zusammenhang zwischen haptischer Wahrnehmung und der Schwingung der Oberfläche herzustellen.

Hier sind vor allem die In-Plane Schwingungskomponenten von großer Bedeutung. Tatsächlich reagiert das Hautgewebe, das wir in Schwingung versetzen, auf verschiedene Arten von Wellen in unterschiedlicher Weise. Das 3D-Scanning Vibrometer ist daher das ideale Werkzeug zur Entwicklung eines möglichst starken haptischen Effektes bei minimaler Schwingung. Außerdem führen wir komplexe Messungen durch, um die Schwingungsantwort des Fingers auf ganz spezifische Ultraschall-Stimuli zu ermitteln.

Welche Schlussfolgerungen ermöglichen Ihnen die Schwingungsmessergebnisse?

In der Charakterisierungsphase messen wir die Antwort einer großen Anzahl von Oberflächenpunkten auf eine Puls Anregung mit einer speziell abgestimmten Anregungsquelle. Als Ergebnis erhalten wir eine große Fülle an räumlichen und zeitlichen Schwingungsinformationen, aus denen wir mit erweiterten Algorithmen die kritischen Ausbreitungsparameter des Ultraschallfeldes bestimmen. Mit diesen Informationen können wir insbesondere unsere Aktoren sehr exakt dimensionieren und so die Effizienz unserer Anordnung optimieren.

Die Messungen eröffnen aber auch neue Perspektiven. Dank der vollständigen 3D-Information können wir die x-, y- und z-Komponenten der Schwingung separat untersuchen und daraus neue haptische Funktionen ableiten. Das 3D-Scanning Vibrometer hat sich somit auch als entscheidendes Werkzeug für eine Reihe von Patenten erwiesen, die wir im Bereich Ultraschall-Haptik angemeldet haben und die sich derzeit in Prüfung befinden.

Visualized ultrasonic wave field of the haptic display (measurement data)
3D-Schwingungsmessdaten visualisieren die Wellenform des Ultraschallfeldes

Wo liegen Unterschiede der 3D-Scanning Vibrometrie zu alternativen Messverfahren?

Als wir anfingen, haben wir ein Einpunkt-Vibrometer mit optischer Faser angeschafft, da uns bewusst war, wie wichtig ein berührungsloses Messverfahren ist. Damit konnten wir die Out-of-Plane Schwingungsamplitude der Oberfläche punktweise mit den Parametern der Aktoren in Beziehung setzen. Später haben wir dann den Messkopf an eine Verfahreinheit gekoppelt, die die Translation in der XY-Ebene steuert. Damit konnten wir bereits das Out-of-Plane Schwingungsfeld kartieren und so die Ausbreitung der Wellen auf unterschiedlichen Oberflächen sehr präzise charakterisieren.

Dank des 3D-Lasers konnten wir nicht nur gekrümmte Oberflächen charakterisieren, die bei unseren Anwendungen immer häufiger werden, sondern wir konnten auch die Zeit, die für die Charakterisierung eines Musters benötigt wird, erheblich reduzieren. Darüber hinaus sind wir jetzt in der Lage, sehr viel häufiger Lasermessungen vorzunehmen, die eine Vielzahl von Informationen liefern, sodass wir unsere Entwicklungsarbeit erheblich beschleunigen können.

Vielen Dank für dieses Gespräch, Matthieu.

Bildnachweise: Soweit nachfolgend nicht anders aufgeführt bei den Autoren. Titelbild:igorstevanovic/shutterstock.com und Maksim Kabakou/shutterstock.com; Bild 1: My Life Graphic/shutterstock.com; Bilderreihe (v.r.n.l): My Life Graphic/shutterstock.com, Dmitry Bunin/shutterstock.com, Open Studio/shutterstock.com.